Ein gewisser Prozentsatz aller homosexuellen Männer lebt in heterosexuellen Beziehungen. Vielleicht führst auch du ein unauffälliges Leben und bist verheiratet. Noch. Möglicherweise hast du inzwischen sogar erwachsene Kinder. Was tun, wenn du das Wissen um deine wahre Sexualität nicht mehr unterdrücken kannst?
Eine Studie der Technischen Universität München (TUM) unter der Leitung von Prof. Kathleen Herkommer wertete 12.354 Fragebögen von homosexuellen Männern aus. Das überraschende Ergebnis: Etwa 6 % der Befragten lebt ein ausschließlich heterosexuelles Leben. Sie definieren sich selbst als schwul, sind aber mit einer Frau verheiratet. Oft haben sie Kinder.
Für viele stellt sich irgendwann die Frage: Outen oder nicht? Irgendwann lässt sich die eigentliche Sexualität meist nicht mehr verbergen.
Wie unterschiedlich Menschen mit dem verspäteten Outing umgehen, zeigt der niederländische Fernsehmoderator und Reality TV-Star Martien Meiland, geboren 1961. Im Alter von 24 Jahren heiratete er Erica Renkema. Sie bekamen zwei Töchter, Maxime und Montana. Als sich Martien nach 26 Ehejahren schließlich outete, ließ sich das Paar scheiden. Der damals 40-Jährige tauchte in die Schwulenszene von Amsterdam ein. Er veränderte seinen Kleidungsstil und fing an, sich zu schminken.
Im Januar 2019 heirateten Martien und Erika erneut. Ihre Beziehung ist allerdings rein platonisch. Martien macht aus seinem Schwulsein keinen Hehl. Warum er sich trotzdem für ein Leben mit Erica entschieden hat? „Ich fand heraus, dass mir das Leben in einer Familie so viel besser gefiel. Das ist viel schöner.“
Er schließt nicht aus, dass er eines Tages den richtigen Mann findet. Allerdings „heiratet“ der dann die gesamte Familie mit: „Wenn ich jemals meinen Traummann finde, muss ihn erst die ganze Familie gutheißen“. Ein Leben ohne einander können sich Martien und Erica nicht vorstellen. Ihre Verbundenheit ist unabhängig von einer gemeinsam gelebten Sexualität.
Das zeigt, ein Outing muss nicht zum Zusammenbruch der bisherigen familiären Struktur führen.
Warum verschweigen homosexuelle Männer ihre Sexualität?
Was hinter der Entscheidung schwuler Männer steht, heterosexuell zu leben, erfasst die Münchener Studie leider nicht.
- Denkbar sind religiöse Motive: Wer sich als streng katholisch, calvinistisch oder muslimisch empfindet, hat möglicherweise Schwierigkeiten, die eigene Homosexualität mit dem Glauben in Einklang zu bringen.
- Manchmal wünschen sich schwule Männer auch eine Familie mit Kindern und entscheiden sich deswegen bewusst für ein heterosexuelles Leben.
- Möglich ist auch, dass sie ihre Homosexualität erst nach der Eheschließung entdecken. Wer in einem konservativem, ländlichen Umfeld aufwächst, hat auch in der heutigen Zeit nicht unbedingt die Chance, sich frei zu entwickeln und seine Identität zu finden.
- Die Angst vor gesellschaftlicher Stigmatisierung spielt vermutlich ebenfalls eine Rolle.
Es ist auch nicht erfasst, wie viele dieser 6 % sich zu einem späteren Zeitpunkt doch noch outen.
Nach dem Outing verändert sich in den meisten Fällen das komplette Leben. Die wenigsten heterosexuellen Paare entscheiden sich dafür, trotzdem zusammenbleiben wie die Meilands. In der Regel steht eine Trennung an.
Das macht Angst. Dazu kommt eine weitere Herausforderung: Es ist nicht einfach, als schwuler Mann der Generation 50Plus vollkommen unerfahren Kontakte zu anderen Männern aufzunehmen. In Zeiten der Pandemie bleiben Bars, Cafés und Restaurants geschlossen. Das macht – zumindest im Moment – eine Kontaktaufnahme schwer. Letztendlich ist die einzig mögliche Anlaufstation für dich in dem Fall eine Online Dating-Plattform oder eine klassische Partnervermittlung.
Ein heterosexuelles Leben auf Dauer?
Es tut der Psyche nicht gut, gegen die eigenen Bedürfnisse zu leben. Frau Professor Herkommer vermutet, dass die Verleugnung der eigenen Sexualität auf Dauer zu Depressionen führt. Auch Erektionsstörungen seien eine zu erwartende Komplikation, wie sie in DIE ZEIT berichtet: „Weil ich mehr Reiz brauche, um zum Höhepunkt zu kommen“.
Irgendwann kommt meistens der Moment, an dem homosexuelle Männer in heterosexuellen Beziehungen merken, dass ihnen etwas fehlt. Vielleicht das Gefühl von Verbundenheit und tiefem Verstandenwerden. Vielleicht die Erfahrung von Intimität und Sexualität mit einem gleichgeschlechtlichen Partner.
Michaela
Quellen:
https://www.hln.be/showbizz/martien-meiland-is-homo-maar-blijft-trouw-aan-zijn-erica-als-ik-ooit-mijn-droomman-vind-zal-het-hele-gezin-hem-eerst-moeten-goedkeuren~a865e3ac2/?referrer=https%3A%2F%2Fwww.google.com%2F